Die medizinische Versorgung in Hamburg ist geprägt von gleichzeitiger Über- und Unterversorgung. Hier kommt es – wie so oft – auf die Betrachtungsweise an. Folgt man der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) und fasst man die gesamte Stadt zu einem einheitlichen Versorgungsgebiet zusammen, so ist Hamburg sehr gut versorgt.
Fragt man jedoch die Menschen vor Ort, so sieht es in vielen Stadtteilen gänzlich anders aus. Mittlerweile herrscht im gesamten Bezirk Harburg ein faktischer Mangel an Ärzt:innen. Es fehlen vor allem Haus- und Kinderärzt:innen. In vielen kassenärztlichen Praxen besteht ein Aufnahmestopp, obwohl die Bevölkerung durch neue Baugebiete zunimmt.
Vielfach können freiwerdende Kassenärzt:innensitze mangels Interessenten nicht neu besetzt werden. Dieser untragbare Zustand für die medizinische ambulante Versorgung ist zum einen Folge der eingangs beschriebenen Betrachtungsweise und zum anderen auf einen Mangel an interessierten Ärzt:innen zurückzuführen.
Die Ungleichheit der medizinischen Versorgung in Hamburg ist eng verzahnt mit der Krankheitswahrscheinlichkeit und den Einkommensverhältnissen der Einwohner:innen. Dort, wo die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung höher und das durchschnittliche Bevölkerungseinkommen niedriger – und somit die Zahl der Privatpatient:innen geringer – ist, da gibt es auch weniger Ärzt:innen.
Ärzt:innen können mit weniger Patient:innen in gut situierten Lagen höhere Einnahmen erzielen als ihre Kolleg:innen in weniger gut situierten Lagen. Nachfolger:innen können kaum noch gefunden werden und freiwerdende Ärzt:innen-Sitze werden aus den bereits unterversorgten Regionen abgezogen.
Dieses Problem kennen leider nicht nur die Menschen in Harburg. Auch andere Bezirke und Stadtteile wie Bergedorf leiden unter dieser Verteilung von Ärzt:innensitzen. Stadtteile mit einem hohen Anteil an SGBII-Empfängern und Kindern mit SGBII-Bezug sind unterversorgt oder davon bedroht.
Dieser Zustand ist in einer modernen und solidarischen Stadt untragbar. Die SPD-Fraktion hat diesen Missstand bereits in der vergangenen Legislatur immer wieder zum Gegenstand von Anträgen gemacht. Es ist sogar in zähen Verhandlungen mit der KVH gelungen, in Süderelbe eine Sonderzulassung zu erhalten.
Mit dem Antrag “Auf dem Weg in die medizinische Unterversorgung im Bezirk Harburg?“ vom Juni 2021 hat die SPD-Fraktion Harburg daher erneut eine Einladung der KVH in den zuständigen Fachausschuss gefordert. Auf ihrer Sitzung am 22.03.2022 hat die Bezirksversammlung Harburg auf Antrag der SPD-Fraktion erneut eine Einladung des neuen Geschäftsführers der KVH in Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Inklusion beschlossen. Diskutiert werden sollen Lösungsansätze.
Wie kann dem Problem der Unterversorgung begegnet werden?
• Es werden zusätzliche Ärzt:innensitze ggfs. über Sonderbedarfszulassungen in unterversorgten Gebieten durch den Zulassungsausschuss der KVHH genehmigt.
• Die Betrachtung des Versorgungsgebietes kann kleinräumiger erfolgen und Verlegungen von Ärzt:innensitzen aus geringer versorgten Gebieten werden nicht zugelassen. Ein dahingehender Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNE ist am 3.2.22 in der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossen worden.
• Frei werdende Ärzt:innensitze in überversorgten Regionen werden über geeignete Maßnahmen in geringversorgte Regionen verlagert.
• Die Zulassungspflicht für Ärzt:innen wird aufgehoben, wie es auch bei den Zahnärzt:innen erfolgt ist. Der Virchowbund hat dieses Recht 1960 vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Und doch schränkt die Bedarfsplanung des Sozialgesetzbuch V seit Jahren die Niederlassungsfreiheit für Vertragsärzt:innen ein. Sie beschneidet damit die ärztliche Freiberuflichkeit und das Patientenrecht auf freie Arztwahl. Ein Praxensterben bei den Zahnärzt:innen ist dadurch nicht erfolgt.
• Es werden vermehrt und zielgerichtet medizinische Versorgungszentren (MVZ) eingerichtet. Diese können von Ärzt:innen bzw. Krankenhäusern betrieben werden und ermöglichen eine Anstellung von Ärzt:innen. Das ist für viele, gerade jüngere, Mediziner:innen eine gute Alternative zu der zeitlich und finanziell stark herausfordernden Situation mit eigener Praxis. Nach einer Gesetzesänderung ist es auch inzwischen möglich, kommunale MVZ zu betreiben. Hier ist zu prüfen, ob das auch in Hamburg als Einheitsgemeinde auf bezirklicher Ebene möglich ist oder nur auf städtischer Ebene.
• Die KVH darf, um die Versorgung sicher zu stellen, Praxen mit angestellten Ärzt:innen betreiben. Dies setzt jedoch das Einverständnis der dort ansässigen Ärzt:innen voraus.
Die Gesundheitspolitiker der SPD-Bezirksfraktion Peter Bartels und Beate Pohlmann sagen: „Leider ist die Situation davon geprägt, dass weder der Bezirk noch die zuständige Behörde hier ohne weiteres etwas entscheiden können, da dies in die Selbstverwaltung der kassenärztlichen Vereinigungen, die gesetzlich garantiert ist, eingreift. Umso wichtiger ist es, mit der KVH im Gespräch zu sein, sie weiterhin für die Situation in Harburg zu sensibilisieren und gemeinsam über passende Lösungsansätze für eine Verbesserung der medizinischen ambulanten Versorgung in Harburg zu diskutieren. Wir sind überzeugt davon, dass das gelingen kann. So haben bereits vor Jahren die Kassenärztliche Vereinigung und die Senatsverwaltung in Berlin mit dem sogenannten ‚Berliner Modell‘ eine gemeinsame Vereinbarung zur Verbesserung der Versorgung getroffen. Wenn wir in Hamburg gemeinsam daran arbeiten, dann kann das auch hier gelingen.”